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In Between

Im Dazwischen. Zwischen den Bildern. Die Bilder – das sind gefrorene Momente, an sich ohne eine Aussage als der des Faktischen, Sichtbaren. An sich ohne Geschichte, ohne Zukunft. Jemand, ein Zauberer, hat den Atem angehalten und die Welt ist erstarrt. Das halten wir nicht aus, so wenig wie einen Dauerton auf gleichbleibender Höhe. So wie ein Ton erst durch den benachbarten Ton eine Tendenz, eine Richtung, eine Vitalität entfaltet und damit eine Aussage über sich, so verknüpfen sich diese isolierten Bildwesen zu einer Erzählung, die ihrerseits ein gefrorener Ausschnitt einer größeren Erzählung ist.

Die Bilder scheinen dem Traum zu entstammen, jenem kurzen, aber bildkräftigen Nachmittagsschlaf, der hyperrealistische Erzählungen auf die Rückwand des Augapfels projiziert, weil das helle Licht die Geräusche des Tages in den Schädel transportiert. Alles scheint mit allem in logisch-paranoischer Weise verbunden, alles verweist aufeinander, entzündete, erregte Bilder, kodiert durch geringe Verschiebungen, Verwandlungen, die nur der Träumende zu dechiffrieren weiß. Dem jungen Mädchen, das somnambul aus dem Bild blickt, ist die Blumenvase nur ein Zeichen, das ein ganzes Buch öffnet, in dem von einem Sonntagnachmittag die Rede ist und von Scherben und Blut, und in dem ganz sicher die Stelle kommt, an der man sich ins Nagelbett kneifen muß, um zu erwachen und aufatmend in ein kühles, hallendes Treppenhaus zu schauen, aus dem ein weißes Pferd stelzt oder eine gesichtslose Ausgeburt unserer Ängste. Und wenn wir uns dann erneut kneifen und uns vor Bildern einer Ausstellung wiederfinden, ist durchaus nicht sicher, dass wir uns im Leben befinden, und nicht vielleicht doch in einem Traum des Mädchens, das sich bereits im zweiten Geschoss befindet vor Bildern, auf denen es uns sieht, wie wir träumen, wir seien wach.

Tatsächlich befinden wir uns in einem Labor, in dem nicht nur Silberpartikel mit einem jeweils winzigen Ausschnitt eines Bildes behaucht werden, sondern gemischt wird und verflochten, geköchelt und destilliert, fermentiert und verwandelt. Scheinbar disparate Ingredienzen – Fische, Risse im Boden, Muscheln, Blumen – vermengen sich zu potenzierten Tinkturen und gebären Homunkuli: länger anhaltende Melancholien, kurze unbegründete Sprünge des Herzens, kleine, eher gedachte als geschmunzelte Heiterkeiten. Alles wandelt sich. Ein Stillleben wird im Schädel des Wesens nebenan zur Apokalypse, ein Vogelflug zum Gedanken, ein Fischschwarm zum Tapetenmotiv eines Kinderzimmers, die tänzelnde Bewegung eines Mädchens zur Fluchtbewegung vor dem sich öffnenden Erdreich. Ein Teil eines naturhistorischen Panoramas wird zum Getreidefeld, eine Gestalt entpuppt sich als Kunstharzplastik von Douane Hanson. Alles wechselt die Fronten, fälscht die Flaggen, mit einem faunischen Kichern oder einem melancholischen Lächeln, gibt sich zu erkennen erst in der Wandlung.

Es wird schnell erzählt. Man könnte die Einzelbilder als knappe spröde Hauptsätze verstehen, die in ihrer Reihung einen Text ergeben, der mehr ist als die Summe seiner Aussagen, denn erzählt wird nicht über die Bilder, sondern über die Zonen zwischen ihnen, in denen es zu kurzen, kräftigen Überbrückungen kommt. Man könnte aber auch an kurze Filmsequenzen denken, hart geschnitten, ohne Übergänge, die dem Kopf, der nicht anders kann als eine logische Struktur aufzubauen und sich damit seine eigene Geschichte zu erzählen, vorbehalten bleiben. Filmisch auch mutet der Wechsel von Farb- und S/W-Bildern an, durch die – das Auge hat so seine Gewöhnungen – ein Wechsel von Zeitebenen evoziert wird. Die junge Frau, die manisch die Haltung der Steinskulptur neben sich imitiert und dem Film Noir entsprungen zu sein scheint, gehört offenbar einer anderen, fast elegisch verdunkelten Zeit an, während die rosa gemusterte Tasche präsent wirkt wie ein Requisit aus einem Almodovar-Film, als Chiffre einer soeben getroffenen Entscheidung, der wegzugehn zum Beispiel und absichtlich etwas zu vergessen – als Versprechen oder um einen Grund zu haben wiederzukommen, und wie zur Erklärung bauscht sich auf dem Bild daneben die Gardine im flachen Morgenlicht und lenkt den Blick wie zufällig auf ein Medaillon, auf dem eine Szene aus einem Antonioni-Film zu sehen ist – La Notte – als Film im Film.

© Text von Matthias Scheliga