Die schmale Tür

Alle zwanzig Minuten steht sie da mit ihrer Handtasche. Jeden Tag das gleiche Ritual. Sie geht aus dem Haus durch die grüne Tür, stellt sich ganz rechts vor dem Klingelschild und holt eine Zigarette aus ihrer Handtasche. Dann raucht sie – nichts an ihr bewegt sich, außer ihr Arm, wenn ihre Hand die Zigarette zum Mund führt. Sie trägt ordentliche Kleidung, gebügelt, meistens grau, rot oder rosa. Nach dem Rauchen geht sie zur Straße vor, lässt die Zigarette auf den Boden in den Rinnstein fallen und zerdrückt sie mit dem Fuß. Keine unnötige Bewegung. Langsam und präzise. Im Gesicht ist nie eine Regung zu erkennen. Schließlich geht sie wieder ins Haus.

Ich sehe sie jeden Tag von meinem Schreibtisch aus durch das Fenster. Jedes Mal, wenn ich ihre leblose Gestalt erkenne, verschiebe ich ein wenig meinen Stuhl, damit ich sie nicht sehen muss. Tage an denen ich sie nicht erblicke, mache ich mir Sorgen und schaue, meist unbewusst, immer wieder hin, bis ich sie beruhigt doch entdecke.

Sie lebt im Altersheim hinter den mit Wein berankten Mauern auf der anderen Straßenseite. Das Rollo geht immer um 8Uhr30 hoch und die Fenster sind mit Gardinen behangen. Wenn im Sommer ein Fenster offen ist, kann ich jemanden im Bett liegen sehen. Gelegentlich höre ich Stöhnen und Rufen.

Meistens sehe ich aber nur die Fassade. Und wenn gerade niemand vorbeiläuft, kann es sein, dass ein schwarzer Wagen hält. Zwei Männer steigen aus, gehen durch die grüne Tür, holen einen Sarg und schieben ihn in den Wagen, der gleich weiterfährt. Es dauert zwei lautlose Minuten. Niemand merkt es. Niemanden stört es.

Karine Azoubib


The narrow door

Every twenty minutes she stands there holding her handbag. Every day the same ritual. She goes out of the house through the green door, she stands upright in front of the doorbell and takes a cigarette out of her handbag. Then she smokes, stock-still. She makes no movement except to lift the cigarette to her lips. Her clothes are neat and carefully ironed. Mostly grey, red or pink. After smoking she steps to the kerb, drops the cigarette into the gutter and crushes it with her foot. No unnecessary movement. Slowly and precisely. Her face is impassive. Finally she goes back into the house.

Every day I see her through my window from my desk. Every time I see her motionless form, I move my chair so that I don’t have to look at her. But on days when she doesn’t appear I start to worry and almost unconsciously begin to look for her, until I’m relieved to see her standing there.

She lives in the old people’s home on the other side of the street, behind the vine-covered walls. The blinds go up every morning at 8.30 and the windows are hung with curtains. In the summer there is seldom a window open through which you could see someone lying in bed. Occasionally I hear moans and cries. But mostly I only see the facade.

Sometimes, when no-one is passing by, a black car pulls up. Two men climb out, go through the green door and return bearing a coffin which they load into the car before slowly driving off. It takes only two quiet minutes. Nobody notices. Nobody is disturbed.

Karine Azoubib